Nordhäuser Winterforellenbirne

14. Jan 2023

Ein Kenner des Harburger Obstbaumgestands meinte bei einer Baumbegehung am unteren Burgparkplatz in Harburg: „Dia Bira schmeckat übrhaupt net.“ Übereinstimmend äußerte sich ein Bauhofmitarbeiter, der dort regelmäßig mäht: „I hab a mol neibissa und hab’s glei wiedr ausgschpuckt. Dia ka ma fei net essa!“
Unweit davon hat ein LKW während der Umleitung aufgrund von Bauarbeiten 2019 im Harburger Tunnel einen hohen Altbirnbaum umgefahren. Ob er damit „den Falschen“ erwischt hat? Jedenfalls rufen solche Äußerungen und Phänomene einen Pomologen auf den Plan. Wer auch immer den Birnbaum gepflanzt hat, muss entweder gezielt gehandelt haben oder es hat ihm an jeder Kenntnis über die Folgen seines Handelns gefehlt. Jedenfalls fördern solche Geschmacksproben nicht gerade den Zuspruch bei der jährlichen Obstertragsversteigerung. Dabei trägt der Baum doch so regelmäßig! Also rufe man einen Pomologen auf den Plan – und siehe da: Volltreffer, wieder einmal eine seltene Sorte im Landkreis entdeckt! Es ist die Nordhäuser Winterforellenbirne, die zwar ab Anfang Oktober gepflückt werden kann, aber lange Zeit rübig schmeckt und erst ab Januar wirklich genussreif wird. Erst dann wird die Frucht ihrer Bestimmung als farbige Winterspeisebirne gerecht. Bis März lässt sie sich aber auch einmachen oder zu Kompott verarbeiten.
Wie kam diese im Landkreis und ganz Nordschwaben seltene Sorte wohl hierher? Ursprünglich ist sie nämlich als Sämling entstanden und um 1864 von einer Baumschule Foehr in Nordhausen verbreitet worden. Tatsächlich ist die „Winterforelle“ oder „Nordhäuser Forelle“ eine Lokalsorte, die vor allem im Harz und in Thüringen zu Hause ist.
Wer seine Früchte also wirklich essen will, braucht eine entsprechende Lagermöglichkeit. Die Reifezeit ist sehr ungewöhnlich. Bäume dieser Art sind geradezu prädestiniert für Notzeiten. Doch auch aus anderen Gründen verdient der Baum unterhalb der Harburg beste Pflege und möglichst auch Vermehrung.

Steckbrief:
Baum: mittelstarker Wuchs, Eignung für alle Erziehungsformen, trägt früh und regelmäßig, bei tiefen Temperaturen plötzlicher Fruchtfall vor Baumreife
Blüte: mittelfrüh, wenig frostempfindlich, guter Pollenspender
Schale: grünlich bis rötlich gelb mit karminroter Deckfarbe
Frucht: mittelgroß, saftig, schmelzend
Pflückreife: ab Anfang Oktober
Genussreife: nicht vor Januar
Haltbarkeit: bis März

Ralf Hermann Melber, 15. Mai 2022