Martini

14. Jan 2023

Die friedliche Gegend am Kohlenbach zwischen Heroldingen und Katzenstein ist immer wieder für Überraschungen gut. Wandert man aus Richtung Hoppingen in den „Burgwald“, sieht man riesige Biberbauten. Man spricht dort sogar von einer abgegangenen Mühle und im vorigen Jahrhundert sind unweit davon Reste eines Burgstalls entdeckt worden, nachdem man auf allerlei Bodenfunde gestoßen war. Dazu passen lebendige Heckenfunde unweit der Kreisstraße. Dort sind uralte Obstbäume mächtig eingewachsen und haben seit Jahrzehnten wirklich kein Pflegewerkzeug mehr gesehen. Sie sind teilweise eingebrochen oder nicht mehr vorhanden, symbolisieren treffend eine Sage aus der Ritterzeit von einem „Reiter ohne Kopf“ am Kohlenbach. Zwei noch erhaltene Bäume in jener Hecke außerhalb des Walds tragen in der Regel alljährlich die gleichen Äpfel, aber welche?
2023 konnte dies zweifelsfrei herausgefunden werden. Es handelt sich um den Martiniapfel bzw. „Großherzogs Liebling“. Die nach einem Oldenburger Adligen benannte Sorte sei an einer Schleuse in Kollmar (Schleswig-Holstein) entdeckt worden. Die einen meinen, der Martinstag (11. November) – daher „Martini“ – sei der Entdeckungstag gewesen. Andere glauben, dass der Name nur den Erntezeitpunkt betrifft. Ob er aus den Samen eines Cox Orange hervorgegangen ist? Wie auch immer, es handelt sich auf jeden Fall um eine recht alte Sorte, die wohl im 18. Jahrhundert entstand, aber erst 1875 wirklich entdeckt und schwerpunktmäßig in Norddeutschland verbreitet wurde. Einzelne Exemplare kommen in Süddeutschland vor, darunter äußerst wenige in Schwaben. Von ihnen stehen direkt zwei Bäume nebeneinander an erwähnter Stelle bei Heroldingen. Wie nur kamen sie hierher? Wusste einst ein Mensch, dass er es mit einer krebsresistenten, hartholzigen und überhaupt gesunden Sorte Apfelbaum zu tun hatte?
Eine norddeutsche Kennerin, die letzte Zweifel an der Identität der Sorte ausräumen konnte, meinte am Telefon hinsichtlich des Geschmacks: „Für uns ist der süß, aber bei euch im Süden ist ein Apfel erst süß, wenn er vor Zucker nur so trieft.“ Solch nette, konstruktive Kritik ist dankbar anzunehmen.
Ebenfalls wertzuschätzen ist die Arbeit des Bauhofs, indem allzu wilde Verbuschung an den Stammfüßen 2024 entfernt wurde, sodass die Bäume wieder gepflegt und bei Bedarf vernünftig abgeerntet werden können.

Steckbrief:
Baum: mittelstark wachsend, sehr gesund, krebsfest, feines, sehr festes Holz, Winterhärte bis -28 °C, feuchte und windige Lagen kein Problem
Blüte: April bis Mai, guter Pollenspender
Schale: von hellgrün nach hellgelb aufhellend, einseitig karminrot kurzgeflammt
Frucht: klein bis mittelgroß, Fleisch fest, später mürbe, angenehm süßsäuerlich
Pflückreife: ab Ende Oktober
Genussreife: Dezember
Haltbarkeit: März
Ralf Hermann Melber ist Mitglied im Deutschen Pomologenverein und Obstbaumpfleger.